Geschichte der Johannes-Wagner Schule
Unterlagen aus über 170 Jahren Hörgeschädigtenpädagogik – jetzt im Staatsarchiv Ludwigsburg gesichert
Die Johannes-Wagner-Schule Nürtingen, staatliche Schule für Hörgeschädigte und Sprachbehinderte mit Internat, hat einen großen Schritt getan: Sämtliche Unterlagen des Schularchivs wurden dem dafür zuständigen Staatsarchiv in Ludwigsburg übergeben.
Bisher galt das Material zur Bildung der „Taubstummen“, wie es im alten Königreich Württemberg lange hieß, ganz überwiegend als verloren. Es war zwar bekannt, dass es seit Beginn des 19. Jahrhunderts spezielle Einrichtungen für Gehörlose und Hörgeschädigte gegeben hatte, aber im Archiv befanden sich kaum historische Unterlagen dazu. Daher fuhr die Archivarin aus dem Staatsarchiv auch mit einiger Neugier nach Nürtingen, wo eine Arbeitsgruppe aus schulgeschichtlich Interessierten um Unterstützung angefragt hatte.
Was sie vorfand, war eine kleine Sensation: In der Johannes-Wagner-Schule in Nürtingen lagen mehrere hundert Akteneinheiten, von denen einige sogar älter waren als die Schule selbst. Zusammen mit dem Arbeitskreis, der sich um die Schulgeschichte und das kleine Schularchiv herum gegründet hatte, wurden diese Unterlagen gesichtet und sortiert. Es stellte sich heraus, dass hier Material nicht nur zur Nürtinger Einrichtung, sondern zur gesamten Geschichte der württembergischen Bildungsanstalten für Hörgeschädigte erhalten geblieben war. So kann die Gründungsgeschichte der „Taubstummenanstalt Nürtingen“, die 1846 aus einem Lehrer und zunächst fünf Schülern bestand, ebenso beleuchtet werden wie die Umwandlung in eine spezielle Schule für „Schwerhörige“. Zahlreiche Anmerkungen zu den Schülerakten zeigen aber auch die erbbiologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten, die Menschen mit Handicaps gezielt verfolgten und zum Beispiel Zwangssterilisationen durchführen ließen.
Nach einer Phase intensiver Zusammenarbeit und unterstützt von der Schulleitung war klar, dass dieser historische Schatz am besten im dafür zuständigen Staatsarchiv Ludwigsburg aufbewahrt wird. Hier wurden die knapp 6 Meter Unterlagen alle einzeln so erfasst, dass die Forschung und die interessierte Öffentlichkeit jetzt darauf zugreifen können. Wer die aktuelle Diskussion um Sonderschulen und Inklusion verfolgt, wird in den Unterlagen der Johannes-Wagner-Schule viel interessantes Material aus nahezu 170 Jahren finden.
Am 14. Oktober 2015 hat Hans-Jörg Polzer, Ltd. Schulamtsdirektor a.D. und im Regierungspräsidium Stuttgart früher zuständig für die Schulaufsicht über die Johannes-Wagner-Schule, und Dr. Elke Koch vom Staatsarchiv Ludwigsburg wichtige Entwicklungsschritte und historische Wendepunkte der Hörgeschädigtenbildung aufgezeigt, die Zusammenarbeit zwischen Schule(n) und Staatsarchiv vorstellt und einen ersten Blick auf ausgesuchte Archivquellen ermöglicht. Ministerialrat Sönke Asmussen, Leiter des Sonderschulreferates im Kultusministerium, zeigte die geschichtliche Entwicklung und die Situation der Sonderpädagogik auf.
Interessierte können sich an das Landesarchiv wenden, um Einsicht in die Unterlagen zu bekommen.
Gelistet sind sie im Staatsarchiv Ludwigsburg im Bestandverzeichnis FL 240/4 I und FL 240/4 II.
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